08.02.2023 = 5 Jahre strassenhilfe-hamburg  -  eine sehr persönliche Betrachtung

 

Rückblick

 

Das Thema „Wohnungs- & Obdachlosigkeit“ war für mich bis Mitte der 90’er eine fremde Welt.

  

Behütet aufgewachsen, Schule & Ausbildung, geregelte Arbeit, eigene Familie – alles auf dem besten Wege. Dann wagte ich den Schritt in die Selbstständigkeit, verdient sehr gut und führte ein arbeitsreiches, aber befriedigendes Leben. Durch unterschiedliche Faktoren stand ich dann – fast von heute auf morgen – vor dem Nichts. Hatte plötzlich hohe Schulden, konnte meine Miete kaum noch zahlen, wusste manches Mal nicht, wovon ich mich ernähren sollte, sah mir U-Bahnen und Hochhäuser mit anderen Augen an und distanzierte mich von der Außenwelt.

 

Durch glückliche Umstände konnte ich diese Krise bewältigen, die Gefühle der Hoffnungs- & Perspektivlosigkeit rutschten allmählich in den Hintergrund, aber ich wusste, wie schnell es Jede(n) erwischen kann.

 

Obdach- & Wohnungslose gehörten nicht mehr zu meinem Lebens- & Interessenbereich – aber die Angst vor einem derartigen „Leben“ hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

 

2015 hatte ich erstmals wieder Berührung mit dem Thema: während meiner Mitarbeit in der „Kleiderkammer Messehallen“ bekam ich am Rande mit, dass hier wohl auch Spenden für die Obdachlosenunterstützung zusammengestellt wurden – aber eben nur am Rande.

  

Ende 2016 begann ich, bei einem medizinischen Hilfsteam für Obdachlose zu unterstützen.

 

Da gab es dann diesen Moment, wo fieberhaft nach der nächsten Möglichkeit einer ärztlichen Versorgung (ohne Papiere & Versicherung) gesucht wurde und wir erst nach dem Durchwühlen etlicher Webseiten zu einem Ergebnis kamen.

 

Ich fragte mich, ob es da tatsächlich keine zentrale Übersicht gäbe – meine Neugier war geweckt!

 

Intensiv suchte ich im Internet und auf Facebook, befragte einzelne Personen und bekam eigentlich nur negative Antworten: „zu mühsam“, „da macht keine(r) mit“, „das braucht niemand“, „hatten wir auch schon probiert“……

 

So langsam stellte ich fest: es gab tatsächlich keine zentrale Informationsquelle mit aktuellen Daten.

 

Die Stadt stellt(e) statische Infos zur Verfügung, wo theoretisch was zu finden sein könnte – erfasst waren hier aber auch fast ausschließlich „offizielle“ Stellen und Einrichtungen und wirklich aktuell waren die Infos auch nicht. Nach den vielen ehrenamtlichen Angeboten suchte ich ebenfalls vergeblich.

 

Nun wollte ich es wissen: es musste doch möglich sein, alle Initiativen, Organisationen und Einrichtungen zusammen zu bekommen – denn schließlich hatten doch alle das gleiche Ziel – ich gebe zu, ich war sehr naiv. Über Facebook nahm ich erste Kontakte zu Personen auf, von deren Engagement in der Obdachlosenhilfe ich wusste, ein paar kannte ich auch aus der Messehalle.

 

Dann begann die Planung: wie könnten Interessierte und Betroffene an die gesammelten Informationen kommen, wo bekomme ich eine bezahlbare Webseite her, welche Infos wären interessant, wie komme ich an die Informationen überhaupt heran, wie könnte ein Logo aussehen und, und, und…..

 

Nur eines stand für mich von Anfang an fest: dieses Projekt sollte unabhängig & neutral werden, für jede betroffene Person frei zugängig sein und auf aktuellen Daten basieren. Ohne Rücksichtnahme auf Rivalitäten untereinander, ohne Werbung oder Hervorhebung bestimmter Personen oder Einrichtungen.

 

Am 08.02.2018 war es dann so weit: die Homepage der strassenhilfe-hamburg ging online!

 

Begonnen wurde mit 3 Anbietern und 10 Angeboten in einer Tabelle,  es handelte sich um ein paar medizinische Angebote.

 

Nach kurzer Zeit – und vielen Übungen mit html-Programmierung, Seitengestaltung, Linkerstellung usw. stellte ich dann auf einen verknüpften Kalender um, der die Eingabe deutlich vereinfachte. Immerhin sahen im März schon 43 Personen auf die Seite – ich war mächtig stolz und ging (ganz bescheiden) davon aus, dass sich nun ganz Hamburg auf meinen Informationen stürzen würde…

 

Schritt für Schritt erweiterte ich die Informationspalette und das Interesse an der strassenhilfe stieg. Nach und nach meldeten sich mehr Einrichtung und Initiativen, aber die Zahl der der Seitenzugriffe überschritt selten 100-150 monatlich. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich das gesamte Projekt aufgeben wollte.

 

Die erste „Bewährungsprobe“ kam zum Jahresende 2018, als viele Angebote über Weihnachten und Sylvester geändert oder ganz eingestellt wurden. Nun orientierten sich Etliche an den verbliebenen Angeboten und spontan gab es private „Ausgleichsaktionen“.

 

Im Laufe des Jahres 2019 wurde es dann wieder etwas ruhiger, aber die Zahl der „Spontanmeldungen“ nahm zu und es konnten immer mehr kurzfristige Meldungen aufgenommen und verbreitet werden.

 

Die große „Wende“ kam mit Corona: in Zusammenarbeit mit der Bahnhofsmission wurde die strassenhilfe-hamburg zu DER zentralen Informationsquelle für die Obdachlosenhilfe in Hamburg:

 

Im März '20 gab es 2500 Seitenbesuche mit über 5000 Seitenzugriffen innerhalb weniger Tage. Von allen Seiten kamen die Informationen, die täglich aktualisiert wurden. Etliche Organisationen und Initiativen kontaktierten mich, um auch ihre Angebote zu melden.

 

Inzwischen ist die strassenhilfe etwas gewachsen und nicht mehr ganz unbekannt.

Ein paar aktuelle Details aus „dem Nähkästchen“ für Zahleninteressierte:

  • 65 vernetzte Organisationen mit ca. 1200 Kalendereinträgen monatlich
  • knapp 500 Homepagebesucher monatlich (28.000 seit Beginn) mit insgesamt 76.000 Seitenzugriffen
  • 228 Mitglieder in der Facebookgruppe, 679 Follower auf der Seite
  • Sondermeldungen werden neben der Homepage und der Facebookseite auch über Mailverteiler (110 Adressen), Twitter (41 Follower), Instagram (160 Follower) und die Ppush-App (22 Abonnenten – noch frisch und im Aufbau ) verbreitet.

 

 

Seit Anfang 2022 wird sie offiziell in der Broschüre zum „Hilfesystem für Obdachlose“ aufgeführt und ist per Link auf diversen Webseiten erwähnt, selbst Behörden und offizielle Stellen (z.B. Polizei & Bezirksämter) greifen auf die Daten zurück.

 

Die Einführung einer App (die ja heutzutage lebenswicht zu sein scheint) hatte ich erwogen, aber keinen tatsächlichen Sinn darin gesehen.

 

Aber es gibt und gab auch Einwände:

 

eine private Organisation teilte mir mit, sie wolle nicht aufgeführt werden, solange „jede Mutti mit ihrem Bollerwagen und einer Kanne Kaffee“ genannt wird, sie würden in anderen – ernst zu nehmenden – Dimensionen arbeiten: kein Problem, keiner wird gezwungen.

 

Eine andere Initiative bat mich, ihre Angebote nicht zu nennen, da sie jetzt schon überlastet seien und keine weiteren Bedürftigen versorgen könnte. Danke für diese Ehrlichkeit, sie wird selbstverständlich respektiert!

 

Weitere meinen, die „Bequemlichkeit“ der Menschen auf der Straße würde hierdurch gefördert – aber derartigen Schwachsinn überhöre ich.

 

Wie geht es weiter?

 

Der Bedarf an aktuellen Informationen ist groß.

 

Für besondere Themengebiete, wie z.B. Jugendliche und Frauen auf der Straße, Personen im Drogen- & Prostitutionsmillieu und weitere Themen können noch gar keine Hilfen angeboten werde.

 

Die Suche nach zuverlässigen und längerfristigen Mitarbeitenden gestaltet sich leider recht schwierig. Die, die sich bisher interessierten, taten dies kurzzeitig im Rahmen ihres Studiums, z.B. eines Projektes für ihre Masterarbeit. Hier gab es einige gute Ideen und es wurde auch Interesse an einer längeren Zusammenarbeit geäußert – aber gehört habe ich meistens leider nie wieder etwas. Andere hatten ganz andere, aus deren Sicht verständliche, Ansätze hinsichtlich einer aktiven Mitarbeit, oder bisher keinerlei Berührungspunkte zu dem Thema.

 

Im Fokus der strassenhilfe-hamburg steht ganz eindeutig die (manchmal sehr zeitaufwendige und frustrierende) Informationsbeschaffung, die Erhaltung der Aktualität und ein Ausbau der Informationsbereiche.  

 

Die strassenhilfe-hamburg wird, mit Eurer / Ihrer Hilfe, auch weiterhin aktiv bleiben -  aktuell, unabhängig, ehrenamtlich und privat finanziert

 

Grundsätze der strassenhilfe-hamburg sind Unabhängigkeit & Neutralität, daher würde es gegen diese Regeln verstoßen, hier speziellen Organisationen oder Personen namentlich zu danken. Daher möchte ich es so formulieren:

 

Es gibt einige Personen, die sich regelmäßig, intensiv und verlässlich mit mir austauschen, proaktiv informieren und auch ganz aktiv auf die strassenhilfe hinweisen. Denen möchte ich meinen Dank aussprechen, da es dieses Projekt ohne ihr Engagement nicht (mehr) geben würde.